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Gespräch mit Frau Hollay (Seite 37)

Frau Elisabeth Hollay hat im letzten Jahr in der Bibliothek des Instituts für osteuropäische Geschichte und Landeskunde (im Hegelbau) gearbeitet. Wir befragten sie über ihre Erfahrungen als Praktikantin.

Können Sie uns sagen, was Sie vor dem Praktikum in der Bibliothek gemacht haben?

Ich bin achtundzwanzig Jahre alt und komme aus Rußland, genauer: Sibirien, und bin deutschstämmig. Meine Eltern stammten aus dem Wolga- und aus dem Dongebiet. Ich hatte Russisch und Literatur studiert und kurz als Lehrerin für russische Sprache und Literatur gearbeitet. Im November 1993 kam ich nach Deutschland. Ich wohne noch jetzt in einem Aussiedler-Wohnheim in einem Dorf. Dort kümmern sich meine Eltern um meine beiden Kinder, während ich versuche, mich für eine Tätigkeit zu qualifizieren.

Da ich kein Deutsch konnte, als ich nach Deutschland kam, machte ich zunächst für sechs Monate einen vom Arbeitsamt finanzierten Deutschkurs. Daran schloß sich nichts an, so daß ich selbst einige Volkshochschulkurse finanzierte, um das Erlernte nicht wieder zu vergessen. Zuletzt machte ich dann noch einen viermonatigen Deutsch-Kurs der Otto-Beneke-Stiftung e.V.

Wie kamen Sie denn auf das Bibliothekswesen als Tätigkeitsfeld?

Eigentlich hätte es sich angeboten, als Russisch-Lehrerin weiterzuarbeiten. Mein Abschluß in Rußland wird hier aber nicht anerkannt, außerdem ist der Bedarf an Russischlehrern - sowohl an staatlichen Schulen wie auf dem freien Markt - sehr gering. Ich habe mir daher überlegt, was ich sonst machen könnte. In Rußland können Lehrerinnen auch in Bibliotheken oder in Kindergärten arbeiten, man hält sie dort für qualifiziert genug für diese Tätigkeiten. Dies ist bei den Lehrerinnen auch sehr beliebt, ich kenne etliche, die in Bibliotheken arbeiten. Hier in Deutschland sind das eigene Berufe mit eigenen Ausbildungsgängen. So habe ich mich entschieden, mir das Bibliothekswesen anzuschauen und mich eventuell dafür ausbilden zu lassen.

Wie haben Sie Ihren Praktikumsplatz gefunden?

Den Kontakt hat die Otto-Beneke-Stiftung e.V. vermittelt, genauer eine Mitarbeiterin, die früher in der Unibibliothek Tübingen tätig war. Sie vermittelte den Kontakt zu Frau Krizova, der Bibliothekarin des Instituts für osteuropäische Geschichte und Landeskunde.

Wie lange haben Sie jetzt dort gearbeitet?

Ein Jahr, zunächst freiwillig zwei Tage in der Woche, dann von Mai bis Juli 1996 als eine von der Otto-Beneke-Stiftung e.V. finanzierte Maßnahme ganztags und dann nochmals für zwei Monate zweitägig. Ich habe mitunter auch einem Referenten in der UB geholfen, und für zwei Wochen war ich zusammen mit Frau Banna [vgl. TBI 18.1996, H. 2, S. 55] zu einer Hospitation in der UB.

Was waren Ihre Erfahrungen in dieser Zeit?

Ich hatte noch nie in einer Bibliothek gearbeitet, kannte sie nur von der Benutzerseite her. Ich habe in dieser Zeit hauptsächlich praktische Tätigkeiten ausgeführt, Zeitschriftenhefte eingearbeitet, Bücher eingestellt, Katalogkarten sortiert etc. Außerdem habe ich eine Revision der Monographien und der Zeitschriften durchgeführt, womit ich sehr zufrieden bin, da ohne mich dies erst sehr viel später möglich gewesen wäre.

Was mir sehr geholfen hat, war die russische Sprache. Viele Bücher und Zeitschriften dieser Bibliothek sind in Russisch geschrieben, ebenso sprechen viele Benutzer der Bibliothek Russisch. Beim Einarbeiten von Zeitschriftenheften sah ich vieles, was ich so aus Rußland noch nicht kannte, gleichzeitig half es mir, später auf Benutzerfragen auch Antworten geben zu können. So nach und nach wurde mir auch die anderssprachige Literatur vertraut.

Inwiefern unterscheiden sich die Bibliotheken von jenen, die Sie in Rußland während des Studiums kennengelernt haben?

In meiner Stadt gibt es auch wie hier eine Stadtbücherei und in der Hochschule hat jede Fakultät eine eigene Bibliothek, die auf das bestimmte Fach hin orientiert ist. In den Fakultätsbibliotheken gab es fast alles, was man brauchte. Allerdings war alles durch Zettelkataloge erfaßt, nicht wie hier durch Computer und OPACs.

Ein weiterer Unterschied ist, daß dort das Studium sehr viel verschulter ist und daß man zu Anfang jedes Semesters die Lehrbücher zugeteilt bekam, die man dann während des Semesters im Seminar benutzte.

Sie haben jetzt ab dem Wintersemester einen Studienplatz an der Fachhochschule Stuttgart, Hochschule für Bibliothekswesen und Information (HBI) bekommen. Was für Erwartungen haben Sie bezüglich des Studiums?

Ich habe schon Befürchtungen, ob meine Sprachkenntnisse ausreichen, um die Inhalte mitzubekommen. Daß das Studium dort eher verschult ist als an den Universitäten, kommt mir entgegen, denn es ist die Art des Lernens, wie ich sie auch bisher gekannt habe. Ich hoffe auch viel Neues zu lernen, was ich später brauchen kann. Aber es wird im Zweig wissenschaftliche Bibliotheken viel verlangt, wie z.B. Schreibmaschinenkenntnisse und zwei Fremdsprachen. Ich habe zwar in Rußland schon Englisch gelernt, weiß aber nicht, ob meine Zertifikate von dort anerkannt werden. Andernfalls muß ich das noch einmal neu machen. Einen Schreibmaschinenkurs habe ich hier in Deutschland schon gemacht und werde noch weiter lernen und später die Prüfung machen.

Was sind Ihre Hoffnungen für die Zukunft?

Ich hoffe, daß ich nach der Fachhochschule eine Stelle bekomme, da ich seit drei Jahren nur lerne und gerne wieder arbeiten würde. Außerdem hätte ich gerne irgendwann eine Wohnung, da es mit Eltern und Kindern in einem Zimmer im Wohnheim etwas beengt ist.

Frau Hollay, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen für die Zukunft, insbesondere aber für das Studium an der HBI alles Gute!

Dr. Jürgen Plieninger
Tel.: 27-76141


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© TBI 1/1997